Dienstag, 28. Januar 2014

die deutsche depression



montag, nach dem turnier. das wetter ist so richtig scheiße für januar. fühle mich erschöpft und niedergeschlagen. sollte mal ein paar bewerbungen schreiben, aber ohne motivation wird das nichts. und hartz 4 als non-statussymbol hat keinen großen schrecken für mich, obwohl ich erschreckt feststelle, wie schnell der minderwertigkeitskomplex über die nichtproduktivität einsetzt. faszinierend wie sich die parameter der beurteilung ändern, bin doch die gleiche person wie vor ein paar monaten... besuch bei oma ist genauso schön wie ernüchternd angesichts der tatsache, dass ich der verbitterung des alters nichts entgegen halten kann. nichts schmerzt mehr als verpasste momente, lese ich in den müden augen unter der dauerwelle. wieder daheim, aufräumen und entsorgen alter briefe an sämtliche verflossene liebschaften, s., b., r., k. usw., das geräusch des schredders bringt böse genugtuung, der trotz will die verlorene lebenszeit zurück.

dienstag, wieder aufwachen und gleich wieder einschlafen wollen. träumen von turnkünsten und verlorenen mützen, draußen regen. suche nach stellen im internet, bin so erfolgreich wie sonntags einkaufen zu wollen. gleichzeitig bringeschuld gegenüber des amts, dabei habe ich noch keinen cent erhalten. der turm der bürokratie scheint vor meinen augen zu wachsen. apropos augen, meine brille zerbricht zum 5. oder 6. mal und von den kontaktlinsen sind nur noch 1,5 im behälter. hm, war ich wohl am sa nacht doch zu betrunken gewesen... aber so: endlich motivation neue brille zu kaufen, natürlich im kleinen laden um die ecke mit den ehrlich engagierten verkäufern. ergattere das günstige modell für über 300euro, ohne meine eltern und ihr weihnachtsgeld wär ich wohl blind.

mittwoch, habe längst aufgegeben, einen wecker zu stellen wenn ich nicht aufstehen muss. immerhin komme ich diesmal schneller aus dem bett, und dann die überraschung: schnee! bin viel motivierter und schreibe zwei bewerbungen auf stellen, die ich tatsächlich antreten will. dann restenergie nutzen um eingepackte kisten auszuräumen und unnötiges (was eigentlich 80% meines besitzes sind) wegzuschmeißen. stoße auf alte sz-magazine über gerechtigkeit in deutschland und erfahrungsberichte über rassismus, was wieder mehr fragen aufwirft als ich mir in meiner eh zu entmutigten verfassung leisten kann, vor allem: was will ich hier? nachts entdecke ich neue großartige musik, und der vollmond bringt mich zum träumen aber nicht auf dumme gedanken, selbst in der fantasie bewahre ich mir einen rest realismus

donnerstag, wache eine minute vorm weckerklingeln auf und blicke gleichzeitig einer großen erwartung und der dahinter wartenden resignation ins gesicht. hört das denn nie auf? na gibt ja genug zu tun. frage mich kurz, welcher tag heut ist und ob ich etwa termine hab, antwort: scheiß-donnerstag, und nein. nichts außer den tag rumkriegen, gründe finden um nicht vor die tür gehen zu müssen, gedankenverloren musik hören, pläne machen und verwerfen, in die gänge kommen, pakete fürs ganze haus entgegen nehmen, emails checken, über den sinn meines lebens sinnieren, hörbücher hören, filme gucken, gründe finden um vor die tür zu gehen, essen kochen, ausreden für den nicht-auffindenbaren sinn meines lebens finden, und schließlich den abend damit verbringen, den tag möglichst schnell wieder zu vergessen.

freitag, juchu, endlich...! was zur hölle, schon wieder ne woche rum? die to-do-liste der woche, die aus drei punkten bestand, ist völlig unangerührt, aber ich kümmere mich sofort darum. gleich nachdem ich gecheckt hab, ob die flüge nach hawaii wieder günstiger geworden sind und ob die neue großartige band auch in meiner nähe ein konzert gibt. und pläne fürs wochenende müssen gemacht werden: 1. dresdner bars in kategorien "muss ich mal wieder hin" und "war ich noch nicht" einteilen, 2. bank ausrauben, 3. ausschlafen. immerhin, heute ist frisbeetraining, wobei sich herausstellt, dass fehlende fitness sich vor allem in nicht-fangen äußert... anschließend besuch in der neustadt in beiden kategorien (wenn man dönerläden mitzählt), da weiß man, was man vermisst hat!

samstag, hatte die woche eigentlich schon immer sieben tage? wieviele monate noch bis frühling? boah, bin ich müde! hey, wo ist der schnee hin? immerhin, sonne scheint. erstmal schön frühstücken mit Mutsch, dann auf nach radebeul, tante und onkel beim packen helfen. 'na du alter sack!', begrüße ich, 'sack-se, wenn ich bitten darf!' tönt es auf sächsich zurück. touché! wickle unzählige gläser in zeitungspapier und denke, oh wie schön einfach anderen zu helfen ohne eine einzige erwartung dabei, fühlt sich so... sinnvoll an. außerdem, ich mag meine familie. die ganze sentimentalität auf der reise war damit vollkommen gerechtfertigt.

sonntag, jaja, endlich ausschlafen, die woche war ja anstrengend. so langsam brökelt der putz an den wänden meines selbstmitleids, wann hatte ich nochma unbewusst beschlossen so durchzuhängen? manche sagen ja, man muss erst ganz tief sinken bevor es wieder bergauf geht, andere nennen es 'montag kommt bald'. solange ich mit meiner anderen arbeitslosen freundin auch an nem sonntag-abend nach dem gemütlichen kaffee auch noch ne bierorgie feiern kann, juckt mich das nicht. ganz am ende kommt doch der lichtblick, der große spaß, loslassen, lachen, lange nicht nachdenken. auch wenn in hawaii keiner ans telefon geht, ist dieser tag doch als 'positiv' im gedächtnis gespeichert, allein weil ich mich endlich getraut hab anzurufen.

tja, der wochenrückblick, klingt alles nicht so wunderschön, aber ehrlichkeit lässt sich schwer wieder verlernen. außerdem: umso schlimmer die winterdepression, desto schöner der frühling! und immernoch lieber leiden als leider nichts mehr lieben! anfangs wars echt gut wieder da zu sein, dann wars mist und so langsam wirds wieder. merkwürdiges gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben, gleichzeitig beruhigend und beunruhigend. die gewohnheit wirds richten, und die intensive auseinandersetzung mit dem inneren gefühlschaos wird sich am ende eh wieder als notwendige metamorphose herausstellen, also kein grund zur sorge. wobei sorgen mach ich mir kaum mehr, das ist ja so mitt-zwanziger (und hat sich außerdem erledigt als 2012 die welt doch nicht unterging)!
und nächstes mal gibts gute musik, sehr gute sogar. hui, jetzt bin ich selbst gespannt!


Mittwoch, 15. Januar 2014

neues aus der spielewelt

08.01.
Ich habe bereits Ende des letzten Jahres, kurz nach meiner Rückkehr nach Deutschland, ein neues Game angefangen, das mich seitdem viele Stunden meines arbeitslosen Daseins beschäftigt hält. Einige kennen es vielleicht, es ist eine Art Jump-n-Run, bei der man durch mehrere Level kommen muss um am Ende den Goldschatz zu erhalten, ich nenne es "Pirates of Hartz 4: Fluch der fehlenden Unterlagen".
Das Spiel erscheint am Anfang recht simpel angesichts der Anforderungen der Antragstellung, wird aber im Verlauf immer schwieriger, wenn plötzlich neue Regeln hinzukommen oder das Ereignis 'Würfel' eintritt. Dabei handelt es sich um den Glücksmoment des im Spiel zugewiesenen Sacharbeiters: je nachdem wie der dann würfelt muss man das Level wiederholen oder nicht. Beim ersten Mal hatte ich tatsächlich Glück, ein Mitarbeiter des Jobcenters hat mir auch ohne Meldebescheinung den Antrag (!) für Alg II ausgehändigt, für Alg I musste ich nochmal wiederkommen. Was mich direkt zum Gegner 'Langeweile' führte, gegen welchen ich 2.5 Stunden kämpfen musste bis ich zum Dokument vorgelassen wurde, bewaffnet mit MP3-Player und Roman, jedoch war es mittags und meine Lebensenergie schwand durch Ernährungsmangel. Ich war unzureichend vorbereitet auf Grund fehlender Erfahrung, wer hätte gedacht, dass 1. die jeweiligen Alg's von zwei verschiedenen Behörden verteilt werden? Und 2., dass man allein um einen Antrag nur mitzunehmen so lange warten muss und Terminvergabe nicht möglich ist? Na, ich jedenfalls nicht.
Am Dienstag absolvierte ich erfolgreich Level 2 beim Erstgespräch zur Arbeitsvermittlung, und da die Betreuerin vor allem Behördendeutsch sprach, konnte ich für den Spielwortschatz folgende goldene Vokabeln sammeln: ortsabwesend (man muss alle Tage und Nächte außer Haus -außer Sonntags- melden und hat dafür 21 Tage im Jahr), Bedarfsgemeinschaft (bei mehreren Spielern), Vermittlungsgutschein (Cheat um Level zu überspringen oder Spiel zu beenden) und Arbeitsanbahnung (Spielende). Jetzt muss ich noch online mein Profil bearbeiten um potentielle Arbeitgeber anzulocken, denn man will ja nicht ewig spielen...
Natürlich versuche ich erstmal den Hauptgegner 'Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch' zu bezwingen, dazu wurden bereits Freunde und Eltern zum Mitspielen eingeladen und wir werden heute abend eine gemütliche Runde Papierkram erledigen. Eventuell werden dazu die Spielerweiterung 'Schokolade' oder 'Alkohol' benötigt, um das frühzeitige Ausscheiden von Mitspielern zu verhindern. Morgen muss ich dann Level 3 antreten und das Ergebnis auf dem Amt vorlegen, wobei ich hoffentlich wieder beim Würfeln Glück habe und spätestens in ein oder zwei Monaten Goldmünzen erhalte.

13.1.
Heiliger Bimmelbammel! Nun reden wir über ein anderes Spiel, das ich wesentlich lieber zocke: Ultimate Frisbee. Am Wochenende war das berühmt-berüchtigte Stollen-Turnier in Dresden, bei welchem die Spiele bis Mitternacht gehen und man so viele Stollenreste essen kann, bis jegliche "distance/ disc space" calls absurd werden. Ilmenau hatte mal wieder Frauenmangel, also half ich da aus, Ergebnis: coole talentierte Truppe landet auf Platz 10. Außerdem, Prämiere! Da ja ein Team nicht reicht, habe ich durch Lakritzehassen bei den Drehst'n Deckeln I.G.L. einen Posten als semi-durchlässige Membran ergattern können, also Defence besser als Offence, aber wer kann gegen das Licht schon Gegner von Mitspielern unterscheiden? Ergebnis: selbst Bardienst als professionell Betrunkene können uns vom dritten Platz nicht abhalten. Dank dem DJ hab ich auch rausgefunden, was ich in den Nachtstunden zwischen Bar und Bett getrieben hab (nein, ich war nicht eine von denen oben ohne im Fotoautomaten): lallend ein Lied verlangt und dann neben der Tanzfläche eingeschlafen. Scheiße, ich bin zu alt für so viel Spaß! Aber vielleicht hatte es auch damit zu tun, wie ich von meinen neuen netten Deckel-Freunden ins Beerrace getrickst und damit zur saufenden Prinzessin wurde.
Und nun seid nicht neidisch, wenn ihr nicht versteht, worum es geht, kommt das nächste mal lieber vorbei und ich werf ne Scheibe mit euch! Die nächste Chance ist im Sommer.




Freitag, 3. Januar 2014

tschüß niveau, bis montag!

Geile Scheiße, ein neues Jahr! Und ich bin wieder da, ja wo gibts denn sowas? Habe ich es doch tatsächlich im Zug durch Indien geschafft, entlang der Berge in Nepal, mit dem Moped im Norden Thailands, mit Bus und Rikshaw zu den Tempeln Kambodschas und einmal quer durch Vietnam, entspannt auf der Insel auf der Insel in Indonesien, zwischen zwei kleinen Abstechern nach Singapur in Malaysia gewesen, dann bin ich tatsächlich nach Amerika geflogen, Ostküste, Westküste, eine Woche Kanada, dann trieb der Winter mich spontan nach Hawaii, am Ende dann gings zurück nach Vermont, dann war das Jahr auch schon rum und ich zurück in Frankfurt. Hätte Weihnachten und die damit verbundene Vorstellung von einträchtiger Familien-Zusammenkunft nicht eine derart magnetische Wirkung auf mich gehabt, wäre ich wohl noch ewig auf Hawaii geblieben. Zumindest bis zum Ende meines Visums.

Wer diese Geschichte nicht glaubt, kann einiges nachlesen oder die bunten Stempel in einem Pass ansehen, gerade für Europäer eine tolle Abwechslung. Wobei ja dieser Teil der Reise saunervig war, mit all den Visa, es heißt nicht umsonst "Grenzen überwinden", aber man lernt geduldig zu sein, immer lächeln und nicken, mehr erzählen als der Grenzbeamte wissen wollte, so bin ich ohne Rückfahrkarte und extra-Visum nach Kanada gekommen. Und jetzt also wieder daheim. Toll. Wirklich, das darf jetzt nicht zu sarkastisch aufgefasst werden, schließlich hatte ich einiges an Deutschland vermisst!
Wo sonst gibt es so viel gutes und günstiges Bier, bequem zugänglich im Supermarkt oder in der Trinkhalle um die Ecke, natürlich wird kein Ausweis verlangt. In Amerika liegen die Dinge anders, wer da Bier kaufen will kann zum doppelten Preis eine kleinere Flasche und nur gegen Vorlage eines Identitätsnachweises aller Anwesenden bekommen, und auch nur in größeren Supermärkten oder Spezialgeschäften. Es scheint mir, dass in Amerika, was ich wirklich zu lieben gelernt habe, eine Sache gewaltig schief läuft: Bier ist böse. Da kann ich nur fassungslos den Kopf schütteln, in Anbetracht der Freude die mir Alkohol bisher gebracht hat in meinem Leben, all die schönen Erinnerungen an die lustigen Zeiten im betrunkenen Zustand, und all der Schmerz über die anschließende Abwesenheit des Alkohols im Zuge der Ernüchterung... Um als junger Mensch sowas in Amerika zu erleben, wird man quasi in die Illegalität gezwungen.
Aber am meisten hab ich natürlich den deutschen Humor vermisst, nicht nur Freunde und Familie, Döner und die StVO, Rasenmähen im Frühjahr und Laubbläser im Herbst, Frisbeeturniere im Sommer und Glühwein im Winter. In anderen Ländern wird Sarkasmus schon fast als Beleidigung aufgefasst, ob man denn nicht den der Lage sei jemand gerade weg zu beschimpfen, da wären die Deutschen doch sonst eh direkt, warum also den weiten Umweg über den Sarkasmus gehen? Aber das ist ja das schöne! Wir wollen uns doch gar nicht wirklich beschweren, über die soziale Ungerechtigkeit, die Umweltverschmutzung, den drohenden Zusammenbruch des Finanzmarktes und der einhergehende Verlust von Ersparnissen, Anlagekapital und Rentenbeiträgen, stattdessen möchten wir nur etwas schimpfen. Im Grunde gehts den meisten von uns ja richtig gut, also nicht zu viel jammern, und wenn mit einem Augenzwinkern, denn alles ist bei Gott nicht schön, da kann man noch einiges verbessern, aber wer zwei Weltkriege angefangen und verloren hat, wird wohl doch irgendwann bescheidener. Am Ende bleibt einem ja auch nur der Sarkasmus, besser als verwzeifeln. Und Mitdenken ist auch gefordert, da kann ein einzelner Satz schon richtig anfordernd werden, quasi das Kopfquiz für den kleinen Mann. Überhaupt, wer noch im Angesicht des Sturms von Problemen den Degen des Sarkasmus schwingt, zersticht die Illusion des Unlösbaren, es hat etwas tröstendes. Und wer angesichts einer unausweichlichen Blamage mit einem trockenen Witz der Selbstironie den Hof macht, den bewundere ich in seiner Unverwundbarkeit. Sich selbst nicht so ernst nehmen, dem Facebook mal von hinten durch die Brust ins Auge mit einem: "Tschüß Niveau, bis Montag!"

Und bevor (mir) der Blick wieder nach vorn gerichtet wird, im Zweifelsfall von meinem Arbeitsvermittler persönlich, hier eine erste Liste mit Dingen der gesamten Reise, die ich vermissen werde:
Nur zwei Gepäckstücke zu besitzen und davon zu leben. Die warmen Temperaturen! Die freundlichen, offenen Menschen, die offene Neugierde. Die Ungewissheit, die Nicht-Planung, das Vorangetrieben werden. Die guten Radiosender. Musik als Kultur, als fester Bestandteil des Alltags. Fremde Sprachen, Missverständnisse, vor allem die die aufgeklärt wurden und für Erheiterung sorgten. Sterne, tausende und abermillionen Sterne. Inspirierenden Menschen begegnen. Fremde Leute fragen, ob ich mal ihr Handy benutzen darf. Wenig Zucker essen, wenig einkaufen, wenig Internet. Wenig Sorgen haben, mehr Freiheit, nichts tun MÜSSEN. Die günstige Krankenversicherung und sie nie benutzt zu haben, indisches Essen, thailändisches Essen, frische Früchte aus den Bäumen Hawaiis. Noramerikanische Autofahrer und ihre Geduld, Automatikfahrzeuge, Mopeds. Das Geräusch der Wellen am Strand, der nächtliche Duft der Blumen, bei Vollmond keine Taschenlampe zu benötigen. Die Einfachheit, das Grün, den ganzen Tag draußen sein. Wasserfälle und neben ihnen herunterrutschen oder -springen. Entscheidungen treffen, die den Verlauf des Tages ernsthaft beeinflussen können. Die Uhrzeit nicht wissen, oder das Datum. Trampen, Taxi fahren, den Vornamen des Taxifahrers kennen. Und zu guter Letzt, für heute: Gewitter in den Bergen, Hängematten und Trommelkreise.