Dienstag, 30. November 2010

verdaue das! (2)

Und was steht heute auf dem Menü? Natürlich was neues, diesmal aus der Kantine von Arbeit.

Obwohl viele Leute mit der Nase rümpfen wenn sie hören, dass ich im 11. Semester bin, so wissen sie wohl nicht, dass ich auf Arbeit mehr Zeit verbracht habe als in der Uni... Ich wollte unbedingt finanziell unabhängig von meinen Eltern sein, vor allem weil die selbst nicht so viel Geld haben! Damit erspare ich mir mich zu rechtfertigen wofür ich mein Geld ausgebe und kann selbst Verantwortung übernehmen. Das ging teilweise zu Ungunsten der Länge des Studiums, aber definitiv zu Gunsten meines Erfahrungsschatzes.

Warum ich unter anderem im Behindertenheim gelandet bin...? Tjaha. Hat nichts mit dem Studium zu tun. Genauso wenig stehe ich drauf behinderten Menschen Windeln zu wechseln, aber ich steh auf den Sinn der Sache, den Gehalt und all die Herausforderungen. Auf der einen Seite möchte ich gern Menschen helfen die sich selbst nicht helfen können, auf der anderen Seite fühlt man sich wie ein Sklave, gerade wenn man auf die Mitleidstour hereinfällt... Auch wenn ich im Grunde meines Herzens alle bedauere, die mit einer Beeinträchtigung leben müssen, so gehen mir doch gerade die auf meinen nicht-vorhandenen-Sack, die dieses Mitgefühl ausnutzen. Man stelle also fest, Behinderte können genauso Arschlöcher sein wie alle anderen.
Rechnet man das mit ein, ist die Arbeit immer noch physisch anstregend und, nunja, eklig. Auch wenn man einige Jahre da ist und bereits viel an Körperflüssigkeiten in sämtlichen Formen gesehen hat, schlecht kann einem trotzdem noch werden! So ging es auch einer Kollegin, die schon Ewigkeiten da arbeitet und sich eines morgens trotzdem in die Badewanne übergeben musste weil ein Bewohner seine eigene Sch***e nicht nur überall verschmiert, sondern auch gegessen hatte.
Ja! Das war sie, die Knaller-Geschichte, das absolute Extreme, der Blick in den Abgrund. Und trotzdem bei weitem nicht so grausam wie die seelischen Abgründe, denen man manchmal gegenüber steht. Klar gibt es auch postive Dinge, aber die scheinen eher etwas besonderes zu sein als normal. Überhaupt ist "normal" im Behindertenheim ein recht absurdes Wort... Erst heute hätte ich fast jemand vorgeschlagen einen Schneemann zu bauen, bis mir einfiel, dass sie ihre Hände gar nicht richtig bewegen kann. Und doch gibt es eine Normalität, parallel zu unserer und genauso sorgfältig konstruiert und befolgt. Der Alltag wird bestimmt von Langeweile, das muss das Schlimmste sein! Außer Fernsehen und gelegentliche Ausflüge bleibt nicht viel, manche Bewohner sind sogar die ganze Zeit im Bett. Und über allem thront die absolute Abhängigkeit von der Pflege durch jemand anderen, dessen Launen und Absurditäten. Mir ist schnell klar geworden, dass ich mich unglaublich glücklich schätzen kann, in einer solch tadellosen körperlichen Verfassung zu sein. Diese Erkenntnis hat mein Bewusstsein seitdem nicht mehr verlassen.

Es ist schwer die Erlebnisse mit Behinderten in Worte zu fassen ohne dass es arrogant klingt. Dabei beanspruche ich nicht einmal zu verstehen wie sich so ein Leben anfühlt, ich urteile nur darüber, aus meiner ganz eigenen Sicht. Es wird erst dann fair, wenn man sich wirklich auf die Menschen einlässt, sie als das erkennt was hinter der körperlichen Fassade ist ohne diese zu vergessen. Eine schwierige Sache, aber lohnenswert. Meine Bewunderung gilt meinen Kollegen, die noch viel öfter und viel länger im Behindertenheim arbeiten und den Umgang mit den Bewohnern als selbstverständlich ansehen. Mit den meisten habe ich mich gut verstanden und ebenso gaben mir viele das Gefühl, dass sie mich schätzen, selbst wenn eine Chefin mich gern als "die Verrückte" bezeichnet. Natürlich werden mir auch ein paar von den Behinderten fehlen, die so geduldig, offen und nachsichtig mit mir waren. Ich werde die Windeln, Urinbeutel und allmorgendlichen Kämpfe gegen Spastik, zum Beispiel beim Ankleiden, nicht vermissen! Am Ende bleibt vor allem die Gewissheit, etwas wertvolles geleistet und eine Menge gelernt zu haben, sowie die Erinnerung an Heidis erstickungsartiges und Lachen über Kleinigkeiten. Sie ist seit von Geburt an im Rollstuhl und einer der positivsten und fröhlichsten Menschen die ich kenne.

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